Mittwoch, 19. April 2017

Tom Schilling & The Jazzkids - "Vilnius"

Tom Schilling (r.) und seine Jazz Kids. Foto: Alexandra Kinga Fekete 
(ms) Oh Boy!
Singende Schauspieler. Wir müssen darüber sprechen. Einige haben sich da nämlich ganz üble Fehltritte erlangt. Tom Schilling nicht, keineswegs; das hier besprochene Album ist wirklich stark, darf aber auch in diesem Horizont gesehen werden und: Wird so noch besser!
Jan Josef Liefers verlief sich so in seinem ostlagischen Rockimage, dass es gehörig wehtut. Axel Prahl, der kongeniale Kompagnon, macht auf Norden und dudelt etwas durch die Gegend. Und hat hier gerade jemand den Namen Matthias Schweighöfer genannt? Ich will hoffen, nicht.
Einer sticht heraus, der es schauspielerisch auch mit Tom Schilling aufnehmen kann - oder besser: der ihm etwas enteilt ist, weil begnadet gut: Ulrich Tukur. Er mag der einzige Schauspieler sein, der sowohl seinem Hauptmetier begnadet nachgeht und nebenbei passabel im Sinne Max Raabes musiziert und immerhin auf Trocadero veröffentlicht!
Glücklicherweise hat sich Tom Schilling trotz 20er-Jahre Kleidungsstil, oh Boy, für ein anderes Genre entschieden, in dem es nicht so nostalgisch zugeht wie bei Tukur. Auch mit mehr Tempo, Gitarre, Rhythmus. Von allem etwas mehr. Und wäre der Sänger Tom Schilling nicht auch der Schauspieler Tom Schilling, würde er ein paar Etablierten des Musikkosmos' ein wenig ans Bein pinkeln. Kante. Oder Element of Crime. Oder Nick Cave. Oder allen drei gleichzeitig!



Also Tom Schilling macht jetzt Jazz?
- Ne, wieso?!
Na, weil die Band doch so heißt!


Die Kombination aus Schilling und seiner Band hat einen filmischen Hintergrund: "Oh, Boy"! Seine Band, die es damals noch nicht war, hat den Score für den herrlichen Schwarzweißfilm eingespielt. Für die Produktion der zehn Songs für die etwa halbstündige Platte haben sie auch niemand geringeren als Moses Schneider engagieren können.
Die zehn schnellen, kurzweiligen und herzzerreißend schönen Songs sind sowohl für verrauchte Eckkneipen gemacht, in denen Fusel gesoffen wird und genauso für die Theaterbühne, die Schilling wie kein zweiter seit seinem sechsten Lebensjahr kennt.
Ja, es sind Liebeslieder, sie sind persönlich, emotional, nahegehend. Dabei nicht stets positiv gestimmt. Schmerz, Trennung, das Ende einer Liebe sind hier genauso Gegenstand der Texte. Der schroffe, aber genaue Sound der Band untermalen diese Gefühlsschwankungen. Es ist zu bemerken, dass bei den Aufnahmen ausnahmslos Kontra- statt E-Bass gespielt wurde und es war eine kluge Entscheidung, denn dieses eine Instrument verleiht der Platte so viel Wärme und Groove, dass es kaum zu fassen ist!
Es gibt ein Duett ("Ja oder Nein"), eine Coverversion ("Kinder" im Original von Bettina Wegner), ein schaudernd-dunkles Ende ("Kalt ist der Abendhauch") und ein Beinahepolkalied ("Ballade von René"). Die Stücke hat - klar, bis auf das Cover - Schilling alle selbst geschrieben. Elf Jahre lang hat er die Texte gesammelt, daran geschliffen und sie perfektioniert. Seine Bildung, seine Passion zum geschriebenen, poetischen, dramatischen Wort kommt in und zwischen jeder Zeile deutlich zum Ausdruck. Die Fähigkeit, richtig zu akzentuieren, hat er durch die Theatererfahrung angehäuft, das ist klar. Daraus jedoch ein Musikalbum zu machen ist Kunst.
"Vilnius" ist nicht nur ein herausragendes Album, sondern es legt auch die Messlatte für alle anderen deutschsprachigen Indie-Folk-Alben dieses Jahr erschwindelnd hoch!




Hier spielt Schilling mit seinen Jazz Kids demnächst:

02.05. - Hannover - Musikzentrum
03.05. - Münster - Gleis 22
04.05. - Leipzig - UT Connewitz
05.05. - Gera - Songtage
07.05. - München - Strøm
08.05. - Heidelberg - Karlstorbahnhof
09.05. - Frankfurt - Brotfabrik
10.05. - Köln - Stadtgarten
11.05. - Hamburg - Nochtspeicher
12.05. - Berlin - Columbiatheater

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