Donnerstag, 10. März 2016

108 Fahrenheit - Mein Herz

Der Kern der Band. Photo: Silke Kurtz
(ms) In einer urigen Kneipe an der Nordsee sitzen. Bekanntlich ist Reden nicht eines der beliebten Hobbys der Ostfriesen. Es ist eher ruhig, draußen tobt ein Sturm, der Wind und Regen peitschen gegen das Fenster, sodass man heilfroh ist, endlich wieder drinnen zu sitzen. Dazu ein frisch gezapftes Bier, wer mag, raucht. Der alteingesessene Kneipier erzählt Seemannsgarn, hier ist der Ort, von dem man niemals verschwinden möchte. Natürlich läuft auch etwas Musik. Man hört eine kräftige Männerstimme, Akustikgitarre, Streicher, dezentes Schlagzeug, Banjo, mal Trompeten oder ein Geigensolo. Das ist der Soundtrack zu dieser Szene.

Diese Musik könnte von 108 Fahrenheit kommen. Besser noch von ihrem Debutalbum "Mein Herz", das kommende Woche über Rough Trade überall erhältlich ist. Witzigerweise haben die Herren und Damen um Kai Niemann, Marco Pfennig und Adrian Kehlbacher herzlich wenig mit der Nordsee zu tun. Sie kommen aus Leipzig und Dresden. Alles erfahrene Musiker. Insbesondere Sänger Kai Niemann ist nicht unbekannt. Aber über die missglückte Nutzung seiner Songs "Im Osten" und "Wir sind das Volk" kann man woanders nachlesen. Niemann will wieder richtig verstanden werden, hat nichts, aber auch absolut gar nichts mit Nazis oder Pegida-Deppen am Hut. Daher kommt dieses emotionale, ehrliche, gefühlvolle Album genau zur richtigen Zeit. Songs mit Texten, die so nah ans Herz gehen.

Die Texte. Es sind kleine Geschichten, einzelne Episoden. Es geht um Schmerz, Liebe, aber auch um große Gefühle der Freude. Es ist nirgends Kitsch zu spüren, sondern Authentizität (auch wenn dieses Wort so herrlich verbraucht ist). Der Opener "Sag kein Wort" bereitet den Hörer sanft vor. Nur Gitarre und Niemanns kräftige, leicht rauchige Stimme. "Mein Herz" spiegelt die Kneipenszene von oben. Das Lied ist so maritim, inhaltlich aber auch instrumental mit Banjo, Whistle, Fiddle und Santiano ist so wahnsinnig weit entfernt, nicht mal am Horizont sind die Plakatseemänner zu sehen. Live spielt die Band übrigens mit 10 Gastmusikern. Wem bei "Leerer Planet" dann ab der Hälfte kein Schauer den Rücken runter läuft, ist ein gefühlloser Lump. Dieses imposante, melancholisch-melodische und orchestrale Instrumental... da möchte man drin baden gehen. Leider gibt einem die Band keine Pause beim Herzschmerz. "Gibt nicht auf" lässt den Hörer beim Abspielen sterben: Was für ein Song!  Zu "Schweigend mit dir stehen" gibt es ein schönes s/w-Video und bezeichnet gut den Kern einer guten Freundschaft oder Liebe. Man muss nicht immer reden.

"Mein Herz" ist ein breites, tolles Album. Allzu radiotauglich ist es leider nicht. Dennoch wäre es ein Skandal, wenn die Band nicht das Maß an Anerkennung bekommen würde, was sie verdient. Zwischenzeitlich dachte ich, ein wenig Niels Frevert rauszuhören. Aber das stimmt nicht ganz. Es ist etwas eigenes. Warme, ehrliche, gute Musik! Die Deutungshoheit ist zurück gewonnen.

"Mein Herz" erscheint am 18. März über Rough Trade.
Anschließend ist die Band in großer Besetzung hier zu sehen:

29.03. Leipzig - Moritzbastei
30.03. Erfurt - HsD Gewerkschaftshaus
01.04. Jena - F-Haus
02.04. Halle/Saale - Schorre
03.04. Chemnitz - Stadthalle – Kleiner Saal



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