Montag, 12. Oktober 2015

Enno Bunger - "Flüssiges Glück"

Quelle: muffatwerk.de
>> Es gibt Dinge, die begreift man nur, wenn man sie nicht erklärt <<

(ms) Manche Menschen muss man allein wegen ihres Namens mögen. Enno Bunger gehört definitiv dazu. Enno. Was für ein fantastischer Name. Das ist Norden, das ist Gegenwind, Gischt, Schweigen, Wildnis, leise Töne, Moin Moin, Kluntje, Tee-Zeremonie. Und er schaut genauso aus. Nordischer Bart, ostfriesische Gemütlichkeit. Er könnte aber auch Hipster sein. Oder schwedischer Baumfäller. Doch wahrscheinlich ist er derjenige, der uns eine der besten Platten des Jahres serviert hat. Sie heißt „Flüssiges Glück“ und ist seit letztem Freitag zu ergattern.
Was  darf man auf dem dritten Album von Enno Bunger erwarten?
Den grandios-melancholischen Klaviersound mit den Liebes- und Weltschmerzliedern ohne Schmalz vom Konzeptalbum „Wir sind vorbei“ muss man hinten anstellen. Leider. Denkt man zu erst. Nach dem dritten, vierten Hören der Platte, folgt rasch das fünfte und sechste, weil sie richtig gut ist.


Denn den Trennungsschmerz, den er auf dem Vorgänger verarbeitet hat, ist einem neuen Sound gewichen. Synthies, Sounddesinger, Beats sind in den Vordergrund getreten und haben das Schlagzeug und teils das Klavier verdrängt. Der erste der gleich „Polarkreis 18“ sagt, bekommt eine gewatscht! Die ersten Stücke überraschen mit den neuen Tönen. „Scheitern“ und die erste Single „Neonlicht“ klingen nach Großstadt, sich treiben lassen, aber nicht in den Clubs der Stadt, sondern auf ihren Brücken, Alleen, auf Dachterrassen. Und dann kommt Hamburg. Also „Hamburg“. Seit Jahren kommen aus dem Norden Liebesgeständnisse an die Elbmetropole. Zu Recht! Doch Ennos Hymne ist anders. Nicht nur, dass sie 10 Minuten lang ist. Sondern sie strahlt eben nicht von großen Schiffen, Reeperbahn, Fußball, nordischer Andächtigkeit. Na gut, textlich schon. Es klingt nach einem Trip, der auf dem Kiez beginnt und im Hafen endet. Genauso klingt es. Nach Industrie, niemals-schlafen-gehen. Wie es so in Hamburg aussieht, haben Tomte auf ihrem letzten Album gefragt, Enno Bunger hat die Antwort!
Mit „Zwei Streifen“ ist der alte Klang wieder da. Er ist so herzzerreißend, dass man es kaum aushält. Mehr davon, Sucht! Genauso „Heimlich“. Zwei tolle Perlen auf der Scheibe. Diese klingen nach Humor, ganz leisem Humor. Wer Bunger schon mal live gesehen hat, wundert es nicht, dass er seine Stand-Up-Ansagen auch auf Platte bringt. Das zementiert sich in „Am Ende des Tunnels“. Da wird ein bisschen abgerechnet, sich auf die Fresse gehauen, weil er mit Herrn Naidoo verwechselt wird. Zuschlagen erlaubt.

>> Willst du eine neue Bleibe haben, folge einem Leichenwagen <<

Zeit muss man sich nehmen für diese Platte. Man muss sie aufsaugen.
Damit kommen wir zum Höhepunkt, der mittendrin schlummert und so dermaßen den Puls der Zeit zum Beben bringt, dass es zittert unter der Gänsehaut. „Wo bleiben die Beschwerden?“ Ja, wo bleiben sie? Ein Song, der aus Wut, Zorn, Aggression und stummen Staunen entstanden ist, beim Beobachten, was in den letzten Jahren im braunen Sumpf der Republik geschehen ist. NSU, Asyldebatten, Flüchtlinge, Menschen, Gewalt, Versäumnisse, Verfassungsschutz. In dem Song ist auch (s)eine neue Art zu singen erkenntlich. Eine Art Reden, Sprechgesang wäre zu viel, es ist kein richtiger Gesang, Berichterstattung vielleicht.

>> Du bist permanent in meinem Auge, oh, wenn ich noch eins auf Dich werfe, bin ich blind <<


Ja, dieses Album ist dunkel. Teils tiefschwarz, erdrückend. Doch einzelne Hoffnungsschimmer bescheinigen, dass es kein Downer ist. Enno Bunger, der von seinen Fans zurecht geliebt wird, hatte den Mut, sich von seinem Sound zu lösen und ihn weiter zu machen, ohne sich zu verstellen. Beim ersten Hören, wollte ich, dass es so ist, wie es immer war. Dass es nicht so ist, beweist Geschick, musikalische Raffinesse, Können und dass ein geiler, schicker Typ großartige Musik macht. Vielen Dank!



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